Abstrakte Kunst
Abstrakte Kunst ist eine Sammelbezeichnung für nach 1900 in Erscheinung tretende Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts. Sie verwendet die bildnerischen Gestaltungsmittel teils – wie der Kubismus – vom Gegenstand abstrahierend, teils völlig losgelöst von Natur und realen Gegenständen (gegenstandslose Kunst). Werke der ersteren Kategorie zeigen abstrahierte („verwesentlichte“, auf eine Essenz verdichtete) Gegenstände, Figuren, Räume. Werke der letzteren Kategorie bedienen sich autonom der visuellen, künstlerischen Mittel, ohne jeglichen mimetischen Gegenstandsbezug.[1] In der Verbreitung der Fotografie mit ihrer neuen Qualität der Naturwiedergabe wird eine der Ursachen für das Entstehen der abstrakten Kunst gesehen.
Inhaltsverzeichnis
1 Anfänge und Wegbereiter
2 Theoretische Grenzen und Abgrenzung von gegenstandsloser Kunst
3 Parallele in der Musik
4 Stilrichtungen
5 Künstler (Auswahl)
6 Siehe auch
7 Literatur
8 Weblinks
9 Einzelnachweise
Anfänge und Wegbereiter |
Kurz nach 1900 begannen die ersten Maler und Bildhauer sich immer weiter von der Wiedergabe der realen Welt zu entfernen. Bekannt ist Wassily Kandinskys Weg von einer stilisierenden, dem Münchner Jugendstil verpflichteten Malerei über zahlreiche Entwicklungsstufen hin zu abstrakten Kompositionen, die in der reinen Gegenstandslosigkeit organischer und geometrischer Formen münden.[2] Programmatisch legte Kandinsky mit seiner 1910 verfassten Schrift: Über das Geistige in der Kunst die theoretische Grundlage für die neue Richtung in der Malerei. Ob ihm die Pionierrolle in der Entwicklungsgeschichte zur Abstraktion zukommt, ist indessen strittig. Seinen eigenen Angaben zufolge malte er sein erstes gegenstandsloses Bild im Jahr 1910. Heute geht man aber davon aus, dass Kandinsky dieses Bild vordatiert hat, vermutlich malte er es erst 1913.[3] Der Tscheche František Kupka hatte bereits 1911 begonnen, abstrakte Bilder zu malen.
Als erste Künstlerin, die abstrakte Bilder malte, gilt jedoch nach einem Bericht der Journalistin und Historikerin Julia Voss in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung im April 2011 Hilma af Klint (1862–1944). Nach einer Serie kleinformatiger Bilder im November 1906 schuf sie ihr erstes großformatiges Bild im Jahr 1907.[4] Weitere Wegbereiter der abstrakten Malerei waren die in Frankreich aktiven Künstler Sonia Delaunay-Terk, Robert Delaunay und Francis Picabia, der Niederländer Piet Mondrian und die in der Schweiz und Frankreich wirkende Sophie Taeuber-Arp.
In der Bildhauerei entstanden die eigentlich gegenstandslosen Werke erst um 1920 von dem ukrainischen Bildhauer Alexander Archipenko, dem russischen Konstruktivisten El Lissitzky und dem englischen Bildhauer Henry Moore.
Theoretische Grenzen und Abgrenzung von gegenstandsloser Kunst |
Die Beschreibung von Momenten der Kunst, die sich nicht einem mimetischen Gegenstandsbezug unterwerfen – einer historisch insbesondere für bildende und darstellende Kunst formulierten Norm, die sich wenn überhaupt nur mit erheblichen Einschränkungen auch auf Musik, Architektur und Literatur beziehen lässt –, als Abstraktion ist jedoch nur eine mögliche Perspektive, die auch dem Selbstverständnis verschiedener Strömungen der Kunstgeschichte widerspricht. So grenzten der Suprematismus Kasimir Malewitschs und der Konstruktivismus sich als gegenstandslos explizit von der abstrakten Kunst (etwa Wassily Kandinskys) ab, als illusionismusfreier Schaffung neuer konkreter Wirklichkeit in den Kunstwerken (Suprematismus) bzw. schöpferischer Gestaltung des materiellen Lebens (Konstruktivismus).[5]
Parallele in der Musik |
Die Künstler der Abstraktion bewegten sich parallel zur Musik dieser Zeit. Dort wurde mit der dissonanten Freisetzung des Klangwertes der Einzeltöne und der Entfernung von der Melodie etwas Vergleichbares zur Freisetzung des Farbtons vom Gegenstand geschaffen. Die Künstler des Blauen Reiters suchten daher den Schulterschluss mit Komponisten wie Arnold Schönberg, dem Begründer der Zwölftontechnik.
Stilrichtungen |
Seit ihren Anfängen hat Abstrakte Kunst in immer neuen Varianten, Stilrichtungen und Zusammenhängen weltweit ihren Platz in der Kunstszene behauptet. Zu ihren wichtigsten Stilrichtungen gehören der Konstruktivismus und Suprematismus, die geometrische Abstraktion, der Abstrakte Expressionismus, das Informel, die Analytische Malerei und die Kunst, die am Bauhaus entstand.
Künstler (Auswahl) |
Alexander Archipenko (1887–1964), Bildhauer
Hans Arp (1886–1966), Maler, Bildhauer und Dichter
Giacomo Balla (1871–1958), Maler
Lucy Baker (* 1955), Malerin
Willi Baumeister (1889–1955), Maler und Typograf
Constantin Brâncuși (1876–1957), Bildhauer
Peter Brüning (1929–1970), Maler, Grafiker und Objektkünstler
Alexander Calder (1898–1976), Bildhauer
Jean-Michel Coulon (1920–2014), Maler
Robert Delaunay (1885–1941), Maler
Sonia Delaunay-Terk (1885–1979), Malerin und Textil-Gestalterin
Jean Fautrier (1898–1964), Maler
Günter Fruhtrunk (1923–1982), Maler
Lucio Fontana (1899–1968), Maler und Bildhauer
Sam Gilliam (* 1933), Maler
Gotthard Graubner (1930–2013), Maler
Karl Otto Götz (1914–2017), Maler und Grafiker
Hans Hartung (1904–1989), Maler und Grafiker
Adolf Hölzel (1853–1934), Maler
Wassily Kandinsky (1866–1944), Maler
Yves Klein (1928–1962), Maler
Hilma af Klint (1862–1944), Malerin
Willem de Kooning (1904–1997), Maler
František Kupka (1871–1957), Maler
Michail Fjodorowitsch Larionow (1881–1964), Maler
El Lissitzky (1890–1941), Maler, Grafiker, Architekt und Fotograf
Christoph Luger (* 1957), Maler
Kasimir Malewitsch (1878–1935), Maler
Georges Mathieu (1921–2012), Maler
Ludwig Merwart (1913–1979), Maler, Grafiker
Joan Miró (1893–1983), Maler und Bildhauer
László Moholy-Nagy (1895–1946), Maler, Designer und Fotograf
Piet Mondrian (1872–1944), Maler
Henry Moore (1898–1986), Bildhauer
Robert Motherwell (1915–1991), Maler
Ernst Wilhelm Nay (1902–1968), Maler
Barnett Newman (1905–1970), Maler
Kenneth Noland (1924–2010), Maler
Jules Olitski (1922–2007), Maler und Bildhauer
Graham Peacock (* 1945), Maler
Marta Pan (1923–2008), Bildhauerin
Francis Picabia (1879–1953), Maler
Jackson Pollock (1912–1956), Maler
Larry Poons (* 1937), Maler
Ad Reinhardt (1913–1967), Maler
Jean-Paul Riopelle (1923–2002), Maler
Mark Rothko (1903–1970), Maler
Emil Schumacher (1912–1999), Maler
Richard Serra (* 1939), Bildhauer
Frank Stella (* 1936), Maler und Bildhauer
Sophie Taeuber-Arp (1889–1943), Malerin, Bildhauerin, Textil-Gestalterin, Innen-Architektin
Antoni Tàpies (1923–2012), Maler und Bildhauer
Cy Twombly (1928–2011), Maler
Victor Vasarely (1906–1997), Maler
Fritz Winter (1905–1976), Maler
Wols (1913–1951), Maler
Siehe auch |
- Abstrakte Malerei
- American Abstract Artists
- Konkrete Kunst
- Abstrakte Metallplastik
Literatur |
- Susanne Anna (Hrsg.): Die Informellen – von Pollock zu Schumacher. Hatje Cantz, Ostfildern 1999, ISBN 3-89322-689-3.
Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Taschen, Köln 2008, ISBN 978-3-8228-5617-8.
Peter Haller (Hrsg.): Abstrakte Kunst nach 1948 – Sammlung Serviceplan. Jovis, Berlin 2012, ISBN 978-3-86859-189-7.- Barbara Hess/Uta Grosenick (Hrsg.): Abstrakter Expressionismus. Taschen, Köln 2005, ISBN 3-8228-2967-6.
Heinrich Lützeler: Abstrakte Malerei, Gütersloh 1961
Raphael Rosenberg: Turner, Hugo, Moreau. Entdeckung der Abstraktion. Ausstellungskatalog Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main. Hirmer, München 2007, ISBN 978-3-7774-3755-2.
Bettina Ruhrberg, Karl Ruhrberg: Im Zeichen der Abstraktion. Zur westdeutschen Kunst 1945–1960. In: Ferdinand Ullrich (Hrsg.): Kunst des Westens. Deutsche Kunst 1945–1960. (Katalog der Kunstausstellung der Ruhrfestspiele Recklinghausen 1996). Wienand Verlag, Köln 1996, ISBN 3-87909-489-6.
Weblinks |
Commons: Abstrakte Kunst – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Einzelnachweise |
↑ Nicola Carola Heuwinkel: Entgrenzte Malerei. Art Informel in Deutschland. Kehrer Verlag, Heidelberg/ Berlin 2010, S. 22f.
↑ Das bunte Leben. Wassily Kandinsky im Lenbachhaus. Ausstellungskatalog Städtische Galerie im Lenbachhaus. Köln: DuMont 1995. ISBN 3-7701-3785-X
↑ Dietmar Elger: Abstrakte Kunst. Taschen, Köln 2008, S. 28.
↑ Julia Voss: Die Thronstürmerin. In: FAZ. 16. April 2011, Nr. 90, S. 31.
↑ Andrei B. Nakov, Michel Pétris: Avertissement des traducteurs. In: Nikolaj Tarabukin: Le dernier tableau. Éditions Champ Libre, Paris 1972. S. 21–23.