Entwicklungsökonomie




Entwicklungsökonomie oder Entwicklungsökonomik bezeichnet jenen Teil der Volkswirtschaftslehre, der sich mit Entwicklungsunterschieden einzelner Volkswirtschaften beschäftigt. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf Entwicklungsländern, wirtschaftlichen Gründen für ihre Unterentwicklung (Entwicklungstheorie) und Empfehlungen für eine Entwicklungspolitik.


Die Definition von Entwicklung rückt i. d. R. von reinen wirtschaftlichen Kennzahlen (wie bspw. Volkseinkommen, Wachstum, Verteilung) ab und berücksichtigt auch sozio-ökonomische Faktoren, wie Analphabetenrate, Kindersterblichkeit und Bildungsgrad.


Bei den Gründen für wirtschaftliche Unterentwicklung wird zwischen endogenen (im Land selbst liegenden) und exogenen (von außen bestimmten) Gründen unterschieden.


Entwicklungsökonomie wird unterteilt in die makroökonomische und die mikroökonomische Betrachtung. Während sich die makroökonomische Sicht mit langfristigem Wirtschaftswachstum beschäftigt, behandelt die mikroökonomische Sicht Anreizprobleme auf der Ebene einzelner Haushalte und Unternehmen.


Entwicklungsökonomie beschäftigt sich auch mit institutionellen Fragestellungen, wie der nach den Funktionen der Weltbank und des IWF (Internationaler Währungsfonds). Ein besonderes Thema sind Gescheiterte Staaten (Failed States), die Ursachen für deren Scheitern und Ansätze die Situationen zu überwinden.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Wichtige Vertreter


  • 2 Siehe auch


  • 3 Einzelnachweise


  • 4 Literatur





Wichtige Vertreter |


Wichtige Vertreter, geordnet nach dem Erscheinungsjahr ihres wichtigsten Beitrages zur Entwicklungsökonomie, sind:




  • Paul Rosenstein-Rodan (1902–1985): Seine Studie Problems of the Industrialisation of Eastern and South-Eastern Europe von 1943 war nach Ansicht des Entwicklungsökonomen Hans-Heinrich Bass das „wohl erste Werk der Subdisziplin der Entwicklungsökonomie überhaupt“.[1] Rosenstein-Rodan vertrat die These, dass die Komplementarität von Industrien und die Möglichkeit von Skalenerträgen eine Entwicklungsstrategie staatsinduzierter, großangelegter Industrialisierung (big push in Rosenstein-Rodans Diktion von 1957) erforderten, verbunden mit langfristig orientierter staatlicher Planung. Rosenstein-Rodan war daher auch ein Vertreter der entwicklungsökonomischen Strategie des gleichgewichtigen Wachstums (Balanced Growth).


  • Raúl Prebisch (1901–1986): Die von dem Argentinier Prebisch in den Jahren 1949 (spanisch) und 1950 (englisch) veröffentlichte Schrift The Economic Development of Latin America and its Principal Problems (sowie Hans Singers Postwar Price Relation Between Underdeveloped and Industrialized Countries) argumentierte, dass es im Welthandel zu einer säkularen Verschlechterung der Terms of Trade der Entwicklungsländer komme (Prebisch-Singer-These).


  • Ragnar Nurkse (1907–1959): Seine Schrift Problems of Capital Formation in Underdeveloped Countries von 1953 stellte das Konzept des Teufelskreises der Armut als Ursache wirtschaftlicher Rückständigkeit in den Mittelpunkt der Analyse. Zur Überwindung der strukturellen Armut argumentierte Nurkse ebenfalls für die Konzepte der Big-Push Industrialisierung und des gleichgewichtigen Wachstums (Balanced Growth).[2]

  • Sir William Arthur Lewis (1915–1991): Der Brite beschrieb in einem 1954 erschienenen Artikel, Economic Development with Unlimited Supplies of Labour modellhaft eine duale Wirtschaft.[3] Er verwies auf die Dualität des Marktes in Entwicklungsländern zwischen einem traditionellen Agrarsektor und einem modernen Industriesektor (Lewis-Modell). Lewis erhielt den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.


  • Walt Whitman Rostow (1916–2003): Der US-amerikanische Ökonom lieferte mit dem Buch The Stages of Economic Growth: A Noncommunist Manifesto von 1960 einen Beitrag zur Modernisierungstheorie.


Zeitgenössische Vertreter der Entwicklungsökonomie sind (in alphabetischer Reihenfolge):




  • Irma Adelman (1930–2017), Professorin am Department of Agricultural and Resource Economics der University of California, Berkeley, entwickelte 1984 in ihrem Aufsatz Beyond Export-Led Growth die Strategie einer von der Nachfrage der Landwirtschaft getragenen (nachholenden) Industrialisierung (agricultural-demand led industrialization).


  • Daron Acemoğlu, Professor für angewandte Ökonomik am Massachusetts Institute of Technology, verweist auf schlechte institutionelle Rahmenbedingungen als einen Hauptgrund für die Unterschiede im Grad der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen verschiedenen ehemaligen Kolonien (vgl. The colonial origins of comparative development).


  • Kaushik Basu, indischer Ökonom an der Cornell University und Herausgeber des Oxford companion to economics in India, beklagt unter anderem den Rückzug der Demokratie als Folge der Globalisierung.[4]


  • Chang Ha-joon, Südkoreaner, seit 2005 als Reader in the Political Economy of Developmentan der Universität Cambridge, veröffentlichte verschiedene Bücher zur Entwicklungspolitik, darunter: Kicking away the ladder. Policies and institutions for economic development in historical perspective (2002), das 2005 den Gunnar Myrdal-Preis erhielt. Er vertritt die These, dass für begrenzte Zeit zum Schutz der Entwicklung eines unterentwickelten Landes auch protektionistische Maßnahmen gerechtfertigt sein können.


  • Robert Kappel (geb. 1946), ehemaliger Präsident des German Institute of Global and Area Studies, Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA), beschäftigte sich mit den Wachstumsbedingungen für kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) in Entwicklungsländern.


  • Dani Rodrik, türkischer Ökonom und Professor an der Harvard-Universität ist ein prominenter Kritiker des Freihandels.


  • Jeffrey D. Sachs, US-amerikanischer Ökonom und seit 2002 Sonderberater der Millennium Development Goals, engagiert sich für weitgehenden Schuldenerlass für extrem arme Staaten und im Kampf gegen Krankheiten, insbesondere HIV/AIDS in Entwicklungsländern.


  • Amartya Sen (geb. 1933), indischer Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftsphilosoph, Professor der Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, befasst sich mit der Problematik der Armut und Fragen der Wohlfahrtsökonomie. Er war maßgeblich an der Entwicklung des Index der menschlichen Entwicklung und verwandter Indikatoren beteiligt. Sein Werk „Poverty and Famines. An Essay on Entitlement and Deprivation“ erschien 1982. Sen wurde mit dem Buch Ökonomie für den Menschen. Wege zu Gerechtigkeit und Solidarität in der Marktwirtschaft, in dem er das Konzept des Capability Approaches (der Verwirklichungschancen) allgemeinverständlich darlegt, auch einem breiteren Publikum bekannt.


  • Hernando de Soto (geb. 1941), peruanischer Ökonom, setzt sich vor allem mit Fragen des informellen Wirtschaftssektors auseinander. Sein wichtigstes Werk ist 1986 unter dem Titel El otro sendero erschienen.


  • Paul Collier, Professor für Ökonomie und Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomien an der Universität Oxford, davor Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank, schrieb das Buch: Die unterste Milliarde. Warum die ärmsten Länder scheitern und was man dagegen tun kann (Bundeszentrale für Politische Bildung, Bonn 2008).


  • Joseph E. Stiglitz, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften, setzt sich in verschiedenen Schriften, darunter: Die Schatten der Globalisierung und Die Chancen der Globalisierung mit den Problemen der Globalisierung auseinander und fordert einen globalen Gesellschaftsvertrag.


  • Erik Thorbecke (geboren 1929) Entwickler der Sozialrechnungsmatrix und der Foster-Greer-Thorbecke-Formel


  • Michael Todaro, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler, Autor des wohl meistgenutzten Lehrbuches der Entwicklungsökonomie (Economic Development), erforschte insbesondere die Ursachen der Migration, die er in einem dynamischen Modell (Harris-Todaro-Modell) formuliert.


  • Karl Wohlmuth (geb. 1942), österreichischer Wirtschaftswissenschaftler, beschäftigte sich mit den Bedingungen für Innovationen im Prozess der nachholenden wirtschaftlichen Entwicklung.



Siehe auch |



  • Entwicklungssoziologie

  • Angepasste Technologie

  • Strukturalismus (Wirtschaftstheorie)

  • Neostrukturalismus (Wirtschaftstheorie)



Einzelnachweise |




  1. Hans-Heinrich Bass: Rosenstein-Rodan, Paul N.: The Role of Time in Economic Theory. In: Dietmar Herz, Veronika Weinberger (Hrsg.): Lexikon ökonomischer Werke. 650 wegweisende Schriften von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-87881-158-6, S. 435.


  2. Hans-Heinrich Bass: Entwicklungstheorie. Wer ist wer? – Ragnar Nurkse (1907–1959): Balanced Growth und die Rolle der Kapitalbildung im Entwicklungsprozess. In: Entwicklungspolitik, Information Nord-Süd. 2-3/2007, S. 58–60.


  3. Hans-Heinrich Bass: Lewis, William Arthur. The Theory of Economic Growth. In: D. Herz, V. Weinberger (Hrsg.): Lexikon ökonomischer Werke. 650 wegweisende Schriften von der Antike bis ins 20. Jahrhundert. Schäffer-Poeschel Verlag, Stuttgart 2006, S. 281–282.


  4. Der globale Rückzug der Demokratie



Literatur |



  • Rainer Durth, Heiko Körner, Katharina Michaelowa: Neue Entwicklungsökonomik. Stuttgart 2002, ISBN 3-8252-2306-X.

  • Hendrik Hansen: Politik und wirtschaftlicher Wettbewerb in der Globalisierung: Kritik der Paradigmendiskussion in der Internationalen politischen Ökonomie. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15722-1.



  • Hans-Rimbert Hemmer: Wirtschaftsprobleme der Entwicklungsländer. Vahlen, München 2002, ISBN 3-8006-2836-8.

  • Nicolaus von der Goltz, Alexander Brand: Herausforderung Entwicklung. LIT, Münster 2004, ISBN 3-8258-7782-5.


  • Amartya Sen: Ökonomie für den Menschen. dtv, München 2002, ISBN 3-423-36264-2.




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