Dissident




Dissident (von lateinisch dissidēre „auseinander sitzen, nicht übereinstimmen, in Widerspruch stehen“) bezeichnet einen unbequemen Andersdenkenden, der öffentlich gegen die allgemeine Meinung oder politische Regierungslinie aktiv auftritt. Hauptsächlich wird die Bezeichnung für Oppositionelle in Diktaturen und totalitären Staaten verwendet, weil das ungehinderte Aussprechen der eigenen Meinung in Demokratien ein Grundrecht ist und damit als selbstverständlich gilt. Vereinzelt werden jedoch zunehmend auch Andersdenkende in Demokratien so bezeichnet. Ebenfalls als Dissident bezeichnet wird, wer sich zu keiner anerkannten Religionsgemeinschaft bekennt oder aus einer Kirche austritt, ohne sich einer anderen Glaubensrichtung anzuschließen.




Inhaltsverzeichnis






  • 1 Geschichte


  • 2 Gegenwart


  • 3 Siehe auch


  • 4 Weblinks


  • 5 Einzelnachweise





Geschichte |


Die Bezeichnung "Dissident" wurde 1573 in der Warschauer Konföderation für die Protestanten geprägt, die nicht der herrschenden römisch-katholischen Kirche angehörten. Der Begriff blieb bis in das späte 18. Jahrhundert in der Adelsrepublik Polen-Litauen für alle nichtkatholischen Christen (Protestanten und Orthodoxe) gebräuchlich.


Im 17. Jahrhundert fand er als „Dissenter“ Eingang nach England als Bezeichnung für protestantische Gruppen, die nicht zu einer Integration in die anglikanische Kirche bereit waren.


Im 18. Jahrhundert bezeichnet Dissident denjenigen, den keiner anerkannte. Seit dem 19. Jahrhundert ist es jener, der keiner Religionsgemeinschaft angehört. Auch die Mitglieder der deutschkatholischen Vereine, die sogenannten Deutschkatholiken, sowie die protestantischen Freien Gemeinden, die sogenannten Lichtfreunde, die sich 1856 mit den Deutschkatholiken zum Bund Freireligiöser Gemeinden Deutschlands zusammenschlossen, wurden offiziell als Dissidenten bezeichnet. Üblich war dies in Deutschland mindestens bis in die 1930er Jahre.


Auch eine aufklärerische Lehre wie die nicht nur als therapeutische Methode, sondern auch als allgemeine Kulturtheorie zu großem Einfluss gelangte Psychoanalyse hat ihre Dissidenten hervorgebracht, nachdem ihr Begründer, Sigmund Freud selbst längere Zeit als Dissident (der etablierten Psychiatrie) gegolten hatte.


Roi Alexandrowitsch Medwedew beschreibt in seinem Buch Let History Judge: The Origins and Consequences of Stalinism[1] die Verbannung von Dissidenten im Stalinismus und die in den 1960er Jahren aufkommende Gegenbewegung auf einen demokratischen Sozialismus hin.



Gegenwart |


Die Bezeichnung Dissident wurde ab den 1970ern vorwiegend für oppositionelle Künstler und Intellektuelle (insbesondere Bürgerrechtler) des kommunistischen Herrschaftsbereichs verwendet. Die Entstehung der sowjetrussischen Dissidentenbewegung war nicht zuletzt eine Reaktion auf das Ende des poststalinistischen Massenterrors gewesen. Die Verhaftung der Schriftsteller Andrei Sinjawski und Juli Daniel im September 1965 hatte eine Entwicklung angestoßen, die in der ersten öffentlichen Kampagne für Bürgerrechte hinter dem Eisernen Vorhang münden sollte. Getragen wurde sie von einer losen Koalition von Naturwissenschaftlern, Mathematikern und anderen Vertretern der städtischen Intelligenz, die eng mit westlichen Menschenrechtsaktivisten zusammenarbeiteten.[2]


Weitere Beispiele für Dissidenten in den ehemals kommunistischen Staaten sind Andrej Sacharow, Alexander Solschenizyn, Milovan Đilas, Wladimir Bukowski und Václav Havel. Ein Beispiel für eine andere Art des Wortgebrauchs ist der Fall des Atomkraftmanagers und späteren „Kernenergie-Dissidenten“ Klaus Traube.


In der DDR wurden Dissidenten generell als Feindlich-negative Personen bezeichnet und bis in die 1970er Jahre vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) mit ähnlichen Methoden bekämpft wie in der Sowjetunion. Mit der Ära Honecker verlegte man sich jedoch auf ein subtileres, vom MfS eigens dazu entwickeltes Verfahren, die so genannte Zersetzung. Sie umfasste die heimlich durchgeführte psychische Zerstörung von Oppositionellen, um die Opfer dadurch an weiteren politischen Handlungen zu hindern. Dadurch konnte der Einsatz physischer Gewalt und von Inhaftierungen weitgehend vermieden werden, was der auf ihr internationales Renommee bedachten DDR-Führung entgegenkam.


Gemeinsames Merkmal aller Dissidenten war und ist die öffentliche Kritik am bestehenden politischen System, abseits von Zeitgeist und Mainstream und unter bewusster Inkaufnahme von persönlichen Nachteilen. Im weiteren Sinne werden heute auch allgemein deutlich regierungs- bzw. systemkritische Intellektuelle als Dissidenten bezeichnet. So wird die Bezeichnung im englischen Sprachraum unter anderem auf den US-Amerikaner Noam Chomsky angewandt.


Im Juni 2016 wurde der AfD-Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon in der deutschen Presse scharf angegriffen weil er nach westlichem Recht verurteilte Personen wie David Irving, Horst Mahler und Ernst Zündel in einem Buch als Dissidenten bezeichnet hatte, die nur wegen ihrer Meinung hinter Gitter gesperrt würden.


Im Februar 2009 waren nach Angaben der Nichtregierungsorganisation (NGO) Reporter ohne Grenzen weltweit 66 so genannte Internet-Dissidenten (im Internet aktive Bürger-Journalisten) in Haft.[3]



Siehe auch |



  • Dissens

  • Politischer Gefangener



Weblinks |



 Wiktionary: Dissident – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen



  • Yahoo und Dissidentenverfolgung auf heise.de.


  • Artikel über Internet-Dissidenten (Memento vom 16. März 2012 im Internet Archive) auf netzeitung.de.

  • Benjamin Nathans: Moskauer Menschenrechtler an Amnesty International, in: Quellen zur  Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015, abgerufen am 11. Januar 2017.



Einzelnachweise |




  1. (Revised and expanded edition). Columbia University Press. 1989. ISBN 0-231-06350-4.


  2. Benjamin Nathans: Moskauer Menschenrechtler an Amnesty International. In: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte. Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Mai 2015, abgerufen am 11. Januar 2017. 


  3. Reporters without Borders: Press freedom day by day (Memento des Originals vom 6. Februar 2007 im Internet Archive) i Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.rsf.org. Stand: 18. Oktober 2007.









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