Tempel der Artemis in Ephesos
Der Tempel der Artemis in Ephesos oder kurz das Artemision von Ephesos war der olympischen Gottheit Artemis (Göttin der Jagd, des Waldes und Hüterin der Frauen und Kinder) in ihrer Sonderform als Artemis Ephesia gewidmet. Er soll von der Amazonenkönigin Otrere gegründet worden sein und gehörte als größter Tempelbau zu den „Sieben Weltwundern“ der Antike. Die antike griechische Stadt Ephesos beim heutigen Selçuk an der Südwestküste der heutigen Türkei war für ihren Reichtum berühmt und später als Hauptstadt der römischen Provinz Asia eine der größten Städte der Antike.
Auf Lateinisch hieß der Tempel Artemisium Ephesi(n)um oder templum Dianae Ephesi(n)ae, auf Altgriechisch ὁ ναὸς τῆς Ἀρτέμιδος Ἐφεσίης (ho naòs tês Artémidos Ephesíês), ὁ ἐν Ἐφέσῳ ναὸς τῆς Ἀρτέμιδος (ho en Ephésô naòs tês Artémidos) oder τὸ Ἀρτεμίσιον Ἐφέσιον (tò Artemísion Ephésion).
Inhaltsverzeichnis
1 Forschungsgeschichte
2 Baugeschichte
2.1 Der Tempel des 6. Jahrhunderts v. Chr.
2.2 Der Tempel des 4. Jahrhunderts v. Chr.
2.3 Römische Zeit
3 Die Amazonen von Ephesos
4 Literatur
5 Weblinks
6 Einzelnachweise
Forschungsgeschichte |
Die ersten Ausgrabungen fanden 1863 bis 1869 durch den Engländer John Turtle Wood statt. Im Zuge der Arbeiten im Stadtgelände von Ephesos nimmt das Österreichische Archäologische Institut seit 1895 immer wieder Grabungen auf dem Gelände des Artemisions vor. Gefundene Architekturfragmente und andere Fundgegenstände sowie mehrere Kopien der Artemisstatue, die im Stadtgebiet gefunden wurden, sind im Saal der Artemis im Ephesos-Museum in Selçuk ausgestellt, Funde aus den älteren Grabungen befinden sich im Ephesos Museum in Wien.
Baugeschichte |
Im Zuge der österreichischen Ausgrabungen seit 1895 sind mehrere Nutzungsphasen des Heiligtums und Bauphasen des Artemistempels nachgewiesen worden. Bereits ab der Bronzezeit wurde das Areal kontinuierlich bis in geometrische Zeit genutzt. Die ersten, einfachen Kultbauten, das Kultbild bergende Naiskoi, entstanden in mittelgeometrischer Zeit. Im 8. Jahrhundert v. Chr. errichtete man mit den Tempeln „A“ und „B“, z. T. als Holzkonstruktionen, die frühesten Peripteraltempel Kleinasiens. Angeblich unter dem kaum bekannten Tyrannen Pythagoras wurde im 7. Jahrhundert v. Chr. der archaische Tempel „C“ errichtet, der noch vor Fertigstellung durch Überschwemmung zerstört wurde.
Der Tempel des 6. Jahrhunderts v. Chr. |
Der Nachfolgetempel „D“ wurde um 550 v. Chr. begonnen. Architekten waren Chersiphron von Knossos[1] und sein Sohn Metagenes[2]. Die Bauarbeiten an diesem Tempel, für den auch der lydische König Kroisos einige Säulen stiftete, dauerten mit 120 Jahren für antike Verhältnisse ungewöhnlich lang.[3] Die Konstruktion war äußerst schwierig, da das Gebäude auf einem Sumpfgelände errichtet wurde. Erdverfärbungen, die bei Tiefgrabungen beobachtet werden konnten, bestätigen die antiken Nachrichten,[3] nach denen bei der Geländevorbereitung für den Tempelbau Holzkohle und Lederabdeckungen zur Sicherung des moorigen Untergrunds eingebracht wurden. Der Architekt Theodoros von Samos, der schon am Rhoikos-Tempel in Samos mitgewirkt hatte, soll an den Fundamentarbeiten beteiligt gewesen sein.[4] Die auffallenden Ähnlichkeiten zwischen dem Artemistempel und dem Heraion von Samos lassen vermuten, dass seine Mitwirkung nicht allein auf die Fundamentarbeiten beschränkt war.
Der aus einem weiß-bläulichen Marmor der Gegend errichtete archaische Tempel „D“ erhob sich auf einem 111,7 Meter × 57,3 Meter großen, nur zweistufigen Unterbau und vereinte eine dipterale äußere Anlage mit einem hypäthralen, das heißt offenen Sekos. 106 ionische Marmorsäulen von rund 19 Metern Höhe umgaben den Sekos. Die Säulenbasen vom ephesischen Typ standen auf etwa 2,30 Meter breiten Plinthen. Der abschließende Torus der Basen unterlag keiner einheitlichen Gestaltung, sondern wies neben einfacher Riefelung auch weich überfallende Blattreihen auf. Ebenso variierte die Gestaltung der Kanneluren, deren Anzahl mal 40 oder 44, aber auch 48 betragen konnte und mal gleich breit von feinen Graten getrennt wurden, mal im Wechsel breite und schmale Kanneluren aufwiesen. Ein Anthemion schmückte den Säulenhals. An Front- und Rückseite waren die Säulen zwei bzw. drei Reihen tief gestaffelt. Die Säulenschäfte im Eingangsbereich waren als columnae caelatae mit Reliefs oberhalb der Basen geschmückt. Die wohl ersten Marmorarchitrave der griechischen Baukunst spannten sich von Säule zu Säule und erreichten die größte je von Griechen erreichte Spannweite. Der Mittelarchitrav der Front wog hierbei etwa 24 Tonnen und musste auf die fast 20 Meter hohen Säulen zentimetergenau verlegt werden. Die rund 86 Zentimeter hohe Sima zeigte mythische Kämpfe in flachem Relief, das als endloses Band Darstellungen von Kriegern, Pferden und Wagen aneinander reihte.
Die Rückseite des Tempels wies wahrscheinlich ein geschlossenes Adyton anstelle eines Opisthodoms auf. Die zwei Meter hohe Artemis-Statue im offenen Sekos war aus Rebholz gefertigt und mit Gold und Silber verkleidet. Das Dach der Peristasis war aus Zedernholz gefertigt.[5]Heraklit weihte sein Buch über den Logos im Tempel auf dem Altar der Artemis.
Der Tempel fiel am 21. Juli 356 v. Chr. einer Brandstiftung durch Herostratos zum Opfer. Er beging die Tat aus Geltungssucht – sein Vorhaben, durch das Niederbrennen des Weltwunders berühmt und somit unsterblich zu werden, ist ihm gelungen. Der Sage nach soll in der Nacht des Brandes Alexander der Große, der später auch große finanzielle Hilfe zum Wiederaufbau des Tempels leistete, geboren worden sein, weswegen Artemis, die dessen Geburt in Pella überwachte, ihr eigenes Heiligtum nicht schützen konnte.
Der Tempel des 4. Jahrhunderts v. Chr. |
Der spätklassische Neubau (Tempel „E“), mit dem man schon bald darauf begann, wurde durch Cheirokrates oder Deinokrates als bauleitenden Architekten ausgeführt.[6] Es sollte der alte Tempel getreulich wiederhergestellt werden, doch kam es zu einigen Änderungen. So wurde auf der Schuttmasse des Vorgängerbaus ein bereits bei Strabon[7] vermerktes größeres Areal – nun 125,67 Meter × 65,05 Meter, 2,7 Meter Höhe – als Unterbau des neuen Tempels angelegt und der Sockel mit seiner nun zehnstufigen Krepis beträchtlich erhöht. Der Artemistempel „E“ hatte laut Plinius 127 Säulen mit einer Höhe von rund 18 Metern[3] und verfügte über ein Steindach. Nach dem Bericht des Plinius soll er über 36 mit Reliefs verzierte Säulen, columnae caelatae, verfügt haben. Eines dieser Reliefs soll Skopas gearbeitet haben.[3]
Auch bei diesem Tempel dauerte die Bauzeit mit rund hundert Jahren relativ lang. Gleichwohl kamen bei diesem Tempel alle Bauteile dort zu stehen, wo sie bereits der Vorgänger besaß. Säule saß über Säule und Wand saß über Wand. Die Säulen wiesen nun einheitlich 24, durch Stege voneinander abgesetzte Kanneluren auf. Einige der columnae caelatae saßen auf großen kubischen, ebenfalls mit Relief verzierten Sockeln, ohne dass man deren Position am Bau genauer bestimmen könnte. Dem Gebälk fehlt wie seinem Vorgänger der in Kleinasien unübliche Fries. Laut Ausweis von Münzdarstellungen müssen nun riesige Giebel, die drei für kultische Zwecke genutzte Türen aufwiesen, die Fronten geschmückt haben.
Die Bauarbeiten wurden anscheinend nach 250 v. Chr. eingestellt, obwohl einige Bauglieder in Rohform belassen wurden. Antipatros von Sidon beschreibt den Tempel in seinen Epigrammen über die Sieben Weltwunder:
„Doch als ich dann endlich
Artemis’ Tempel erblickt, der in die Wolken sich hebt,
blasste das andere dahin. Ich sagte: Hat Helios’ Auge
außer dem hohen Olymp je etwas gleiches gesehen?“
Römische Zeit |
In den Blick der Weltgeschichte geriet der Tempel wieder, als etwa 46 v. Chr. Arsinoë IV., die jüngere Schwester Kleopatra VII., ins Exil in den Tempel kam. Da sie jedoch als Blutsverwandte eine potentielle Bedrohung für den Machtanspruch ihrer Schwester darstellte, wurde sie auf deren Initiative und auf Befehl Marcus Antonius’ schon 41 v. Chr. wohl auf den Stufen des Tempels selbst hingerichtet; der Hohepriester, der sie bei ihrer Ankunft als „Königin“ tituliert hatte, wurde nur auf Gnadenersuchen verschont. Das Asylrecht kassierte im Übrigen bald darauf Augustus auch de jure.
Als der Apostel Paulus um das Jahr 55 n. Chr. nach Ephesos kam, hatte er angeblich so großen Zulauf, dass viele Anwohner um den Artemiskult und um ihre wirtschaftliche Existenz fürchteten. Der „Aufruhr des Demetrios“ – eines Silberschmieds und Herstellers von Devotionalien – ist im 19. Kapitel der Apostelgeschichte beschrieben (Apg 19,21–40 EU) und von Goethe im Gedicht „Groß ist die Diana der Epheser“ vom gegenteiligen Standpunkt aus umgedeutet worden.[8]
Während der Regierungszeit des römischen Kaisers Gallienus wurde der Prachtbau im Jahr 268 n. Chr. von den Goten auf einem Kriegszug zerstört, die Reste von den Einwohnern als Baumaterial verwendet. Die Ephesier gaben den Artemiskult jedoch erst im 4. Jahrhundert auf. Heute zeugt eine wiederaufgerichtete Säule von dem einstigen Weltwunder.
Die Amazonen von Ephesos |
Um 430 v. Chr. schrieb Ephesos einen Wettbewerb aus, für das Heiligtum eine Statue einer Amazone zu schaffen:
„Es traten aber die am höchsten gepriesenen Künstler in Wettbewerb miteinander, obwohl sie zu verschiedenen Zeiten geboren waren: Da sie nämlich die Amazonen, die im Tempel der Diana in Ephesos geweiht werden sollten, geschaffen hatten, kam man darin überein, durch das Urteil der anwesenden Künstler selbst die anerkannteste bestimmen zu lassen, als es nämlich offensichtlich war, dass einer Amazone von allen der zweite Preis nach der jeweils eigenen zugesprochen würde. Die ist die Amazone Polyklets, den zweiten Platz belegte Phidias, den dritten Kresilas, den vierten Kydon und den fünften Phradmon.“
Neben weiteren aufzählenden Nennungen der Statuen in der antiken Literatur werden noch zwei Details zu ihnen überliefert: Die Amazone des Kresilas war verwundet (Kresilas fecit … Amazonam volneratam),[9] und die Amazone des Phidias stützte sich auf eine Lanze und war vorbildlich in der Form ihres Mundes und schönen Nackens.[10] Die Originale sind verloren, allerdings vermitteln römische Kopien einen guten Eindruck von dreien der genannten Amazonen. Denn unter den erhaltenen Statuentypen gehen die Amazonen vom Typ Sosikles, „Mattei“ und „Sciarra“ auf den Wettbewerb zurück. Umstritten ist bis heute die Zuweisung der Amazonentypen an einzelne Künstler, zumal alle drei Typen die Amazone als verwundet darstellen.[11]
Amazone „Mattei“
(Vatikanische Museen)
Amazone des Sosikles
(Kapitolinische Museen)
Amazone Typ „Sciarra“
(Metropolitan Museum of Art)
Literatur |
Anton Bammer: Das Heiligtum der Artemis von Ephesos. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1984.
Robert Fleischer: Die Amazonen und das Asyl des Artemisions von Ephesos. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Band 117, 2002, S. 185–216.
Gottfried Gruben: Griechische Tempel und Heiligtümer. 5., überarbeitete und erweiterte Auflage. Hirmer, München 2001, ISBN 3-7774-8460-1, S. 380 ff.
Fritz Krischen: Weltwunder der Baukunst in Babylonien und Jonien. E. Wasmuth, Tübingen 1956.
Ulrike Muss (Hrsg.): Die Archäologie der ephesischen Artemis. Gestalt und Ritual eines Heiligtums. Phoibos, Wien 2008, ISBN 978-3-901232-91-6 (Kunsthistorisches Museum Wien und Österreichisches Archäologisches Institut).
Aenne Ohnesorg: Der Kroisos-Tempel. Neue Forschungen zum archaischen Dipteros der Artemis von Ephesos (= Forschungen in Ephesos. Band 12, Nr. 4). Wien 2007, ISBN 978-3-7001-3477-0.
Wilfried Schaber: Die archaischen Tempel der Artemis von Ephesos. Entwurfsprinzipien und Rekonstruktion. Stiftland, Waldsassen 1982.
Bluma L. Trell: Der Tempel der Artemis zu Ephesos. In: Peter A. Clayton, Martin J. Price (Hrsg.): Die Sieben Weltwunder. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-021701-6, S. 105–133 (englische Erstveröffentlichung 1988).
Sabine Ladstätter: Die Türbe im Artemision. Ein frühosmanischer Grabbau in Ayasuluk/Selçuk und sein kulturhistorisches Umfeld. Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Instituts 53, Wien 2015, ISSN 1998-8931. ISBN 978-3-900305-77-2
Weblinks |
Commons: Tempel der Artemis in Ephesos – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
- Archäologisches Institut der Universität Köln: Spätklassischer Tempel der Artemis Ephesia in der archäologischen Datenbank Arachne, 2014, abgerufen am 15. März 2014.
Thorsten Schiemann: Der Tempel der Artemis in Ephesus. In: Weltwunder-Online.de. Eigene Webseite, 2007, abgerufen am 15. März 2014.
Kristian Büsch: Der Artemistempel zu Ephesos. In: Die Sieben Weltwunder der Antike. Eigene Webseite, 2007, abgerufen am 15. März 2014.
Robby Reed: Temple of Artemis – Temple of Diana. In: Dial B for Blog. Eigene Webseite, abgerufen am 15. März 2014 (stimmungsvolle perspektivische CAD-Skizze).
Einzelnachweise |
↑ Plinius, Naturalis historia 36, 30 (95); Strabon, Geographika 14, 1, 22; Vitruv, de architectura 3, 2, 7 und 10, 2, 11.
↑ Vitruv 7 Einführung 12, 16.
↑ abcd
Plinius, Naturalis historia 36, 30 (95).
↑ Herodot 3, 60, 4.
↑ Vitruv 2, 9, 13.
↑ Strabon, Geographika 14, 1, 22 f. gibt als Namen des Cheinokrates an, was verderbt sein könnte, vgl. Vitruv 2 Einleitung, wo Deinokrates als Baumeister Alexanders des Großen genannt wird. Gaius Julius Solinus 40, 5 nennt schließlich Deinokrates direkt als Architekten des jüngeren Artemisions. Eine Entscheidung ist nicht möglich.
↑ Strabon, Geographika 14, 1, 22.
↑
Johann Wolfgang Goethe: Groß ist die Diana der Epheser. (online).
↑ Plinius, Naturalis historia 34, 75.
↑ Lukian von Samosata, imagines 4 und 6.
↑ Renate Bol: Die Amazone des Polyklet. In: Herbert Beck, Peter C. Bol, Maraike Bückling (Hrsg.): Polyklet. Der Bildhauer der griechischen Klassik. Ausstellung im Liebieghaus-Museum Alter Plastik Frankfurt am Main. Zabern, Mainz 1990, ISBN 3-8053-1175-3, S. 213–239; vergleiche auch Renate Bol: Amazones Volneratae. Untersuchungen zu den Ephesischen Amazonenstatuen. Zabern, Mainz 1998, ISBN 3-8053-2317-4.
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37.94972222222227.363888888889Koordinaten: 37° 56′ 59″ N, 27° 21′ 50″ O