Smuta
Als die Smuta oder Zeit der Wirren (russ. смутное время, smutnoje wremja) wird in der Geschichte Russlands die Zeit zwischen dem Ende der Rurikiden-Dynastie mit dem Tod Fjodor I. im Jahr 1598 und dem Beginn der Romanow-Dynastie mit dem Herrschaftsantritt Michael I. im Jahr 1613 bezeichnet. In dieser Zeit gab es fünf Regenten auf dem Zarenthron.
Inhaltsverzeichnis
1 Verlauf
2 Rezeption
3 Literatur
4 Einzelnachweise
Verlauf |
Während der Herrschaft Fjodors I. regierte Boris Godunow als eigentlicher Herrscher das Land. Er versuchte, auch während seiner späteren Regentschaft, Russland aus der Rückständigkeit zu führen, stieß dabei aber auf den erbitterten Widerstand der Bojaren und der Kirche. Zudem traten in den Jahren 1601 bis 1604 drei Hungersnöte auf, welche die Wirtschaft und die sozialen Strukturen des Landes erschütterten.[1]
Die Situation verschärfte sich durch die Intervention von Schweden und Polen. Polnischen Truppen gelang es 1605, Moskau zu erobern, und der polnische König Sigismund III. setzte den sogenannten falschen Dimitri auf den Zarenthron, einen russischen Hochstapler. Er gab sich als Zarewitsch Dmitri aus, den unter mysteriösen Umständen verstorbenen Sohn Iwans IV. Anfangs hatte der falsche Dimitri die Unterstützung der Bevölkerung, die sich nach geordneten Verhältnissen sehnte. Der Adel stand jedoch in Opposition zu ihm. Als er versuchte, das Land nach polnischem Vorbild zu reformieren, verlor er auch die Unterstützung der Bauern und hatte seinen Rückhalt nur noch in der Besatzungsmacht. Je mehr diese durch ihre Übergriffe verhasst wurde, desto unhaltbarer wurde die Lage für den falschen Dmitri. Er wurde ermordet, und es brachen im ganzen Reich Volksaufstände aus.
Die Verhältnisse wurden noch instabiler: Der sich auf Bojaren und Schweden stützende neue Zar Wassili Schuiski war bei den Bauern verhasst und konnte seine Herrschaft nie im gesamten Land etablieren, zumal er von einem zweiten falschen Dimitri bedrängt wurde. Diesen konnte er 1610 mit schwedischer Hilfe besiegen, wurde aber kurz danach mit polnischer Hilfe gestürzt. Die Polen, die Ende 1609 die Kampfhandlungen eröffnet hatten, besetzten im Zuge des polnischen Vormarsches Moskau. Kurz darauf wurde der polnische Kronprinz Władysław gegen Garantien (die der Beginn einer „konstitutionellen“ Entwicklung hätten werden können) als Zar installiert. Die polnische Herrschaft, gekennzeichnet von Gewalt und Raub in russischen Städten sowie Widersprüchen zwischen dem Katholizismus und der Orthodoxie, verlor zunehmend an Rückhalt in der Gesellschaft. Im Nordwesten und im Osten gab es eine Reihe von Städten, die Władysław die Eidesleistung verweigerten.[2] Als sein eigener Vater König Sigismund III. selbst den Zarenthron beanspruchte und jegliche Herrschaftseinschränkungen verwarf, bedeutete dies Władysławs endgültige Desavouierung. Das Ergebnis war eine fast dreijährige Phase völliger Herrscherlosigkeit.
1612 brach unter der Führung des Nischni Nowgoroder Kaufmanns Kusma Minin und des Fürsten Dmitri Poscharski mit Unterstützung durch den Metropoliten Filaret in Moskau ein Volksaufstand aus, der die polnische Besatzungszeit beendete. An die beiden Anführer des Aufstands erinnert das Minin-und-Poscharski-Denkmal auf dem Roten Platz direkt vor der Basilius-Kathedrale in Moskau.
Im Jahr darauf wurde Michael I. durch eine Reichsversammlung, den Semski Sobor, zum neuen Zaren gewählt. Diesem gelang es, das Land halbwegs zu stabilisieren und die Zarendynastie der Romanows zu begründen.
Rezeption |
Eine Dramatisierung der ersten Phase dieses Zeitabschnittes bildet die Oper Boris Godunow von Modest Mussorgski, die auf einem gleichnamigen Drama von Alexander Puschkin basiert.
Literatur |
Quellen
- Der deutsche Offizier und Abenteurer Conrad Bussow beschreibt in seiner Moskowitischen Chronik die Jahre zwischen 1584 und 1613. Der Text ist in verschiedenen Editionen verfügbar, etwa The disturbed state of the Russian realm, translated and edited by G. Edward Orchard, Montreal [u. a.] 1994, ISBN 0-7735-1165-2, oder Zeit der Wirren: moskowitische Chronik der Jahre 1584 bis 1613, aus dem Frühneuhochdeutschen übertragen von Marie-Elisabeth Fritze, hrsg. und kommentiert von Jutta Harney und Gottfried Sturm, Berlin [u. a.] 1991, ISBN 3-7338-0064-8.
Darstellungen
- Chester S. L. Dunning: A short history of Russia's first civil war. The Time of Troubles and the founding of the Romanov dynasty. Pennsylvania State University Press, University Park Pa 2004, ISBN 0-271-02465-8.
Einzelnachweise |
↑ Vor dem Hintergrund hoher, für den Export bestimmter Abgaben und eines starken Bevölkerungswachstums lösten mehrere witterungsbedingte Missernten, die nach dem Ausbruch des Huaynaputina auftraten, die Hungerkatastrophe aus: Chester Dunning: The Preconditions of Modern Russia's first Civil War. In: Russian History. 1 und 2, 1998, doi:10.1163/187633198X00095. K. L. Verosub und J. Lippman: Global Impacts of the 1600 Eruption of Peru’s Huaynaputina Volcano. In: Eos. Band 89, Nr. 15, 8. April 2008, doi:10.1029/2008EO150001. Mitteilung hierzu: Neuere Untersuchung über den Einfluss des Huaynaputina auf das Klima (englisch)
↑ Сергей Михайлович Соловьёв: Сергей Михайлович Соловьёв: История России с древнейших времён. т. 8: От царствования Бориса Годунова до окончания междуцарствия. АСТ, Москва 2001, ISBN 5-17-002141-0, с.791, c.825.