Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis
Der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis (im 16. Jahrhundert noch Niederländisch-Westfälischer Reichskreis,[1] später oft auch nur Westfälischer Reichskreis genannt) war einer der zehn Reichskreise, in die unter Kaiser Maximilian I. 1500 bzw. 1512 das Heilige Römische Reich eingeteilt wurde. Der Westfälische Reichskreis selbst wurde 1500 eingerichtet und bestand bis zum Ende des Alten Reiches.
Inhaltsverzeichnis
1 Gebiet
2 Organisation
3 Geschichte
4 Mitglieder
4.1 Geistliche Fürsten
4.1.1 Bistümer
4.1.2 Abteien
4.2 Weltliche Fürsten
4.3 Reichsprälaten
4.4 Grafen und Herren
4.5 Städte
4.6 Enklaven
5 Siehe auch
6 Literatur
7 Weblinks
8 Einzelnachweise
Gebiet |
Der Kreis umfasste die Herrschaftsgebiete zwischen der Weser und der späteren Grenze zu den Niederlanden bis an die Maas und südlich bis an Ahr und Sieg. Rechts der Weser lagen nur das Hochstift Verden und die Grafschaft Schaumburg. Innerhalb der Grenzen des Kreises lagen aber auch Gebiete, die zum Kurrheinischen Kreis gehörten. Dies gilt insbesondere für Kurköln mit den zugehörigen Teilen Vest Recklinghausen und Herzogtum Westfalen. Im Jahr 1548 wurden das Hochstift Utrecht und das Herzogtum Geldern durch den Burgundischen Vertrag an den Burgundischen Reichskreis abgegeben. Das Hochstift Cambrai wurde 1678 französisch und schied damit aus dem Reich und dem Reichskreis aus.
Organisation |
Der Reichskreis umfasste 1512 insgesamt 55 Kreisstände, deren Vertreter die Kreistage bildeten. Diese wurden nur selten einberufen und fanden dann meist in Köln statt. Die Kanzlei und das Kreisarchiv befanden sich in Düsseldorf.[2] 1555 übernahm der Herzog von Jülich-Kleve-Berg das Kreisoberstenamt im Rahmen der Reichsexekutionsordnung. Kreisausschreibender Fürst, später Kreisdirektor genannt, war zunächst ebenfalls der Herzog von Jülich. Das Amt ging zu Beginn des 17. Jahrhunderts auf den Fürstbischof von Münster über. Nach dem Jülich-Klevischen Erbfolgestreit wurde das Amt geteilt. Neben Münster wechselten das Haus Pfalz-Neuburg (für Jülich) und Brandenburg (für Kleve) sich ab.
Die Grafen und Herren der Region waren seit 1653 im Niederrheinisch-Westfälischen Reichsgrafenkollegium zusammengeschlossen.
Der Reichskreis hatte das Recht, Assessoren für das Reichskammergericht zu präsentieren. Als Folge der konfessionellen Spaltung des Kreises stellte die evangelische wie auch die katholische Hälfte im 17. Jahrhundert jeweils zwei Assessoren.[3]
Geschichte |
Eine mehr oder weniger geschlossene Politik verfolgten die Kreisstände 1534 zur Sicherung des Landfriedens beim Kampf gegen das Täuferreich von Münster. Ab 1556 bemühte sich der Kreis um eine Vereinheitlichung des Münzwesens im Zusammenhang mit der Reichsmünzordnung. Auch insgesamt war der Reichskreis im 16. Jahrhundert am aktivsten, als es unter anderem galt, die Türkensteuer aufzubringen. In den folgenden Jahrhunderten nahm die Bedeutung ab.
Problematisch war die Grenzlage zu den Niederlanden. Verschiedentlich griff der Achtzigjährige Krieg zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und Spanien, wie etwa im Spanischen Winter 1598/1599 auch auf Gebiete im Reichskreis über. Auch deshalb strebte der Kreis während des Truchsessischen Krieges eine bewaffnete Neutralität an.
Auswärtige Kräfte nahmen starken Einfluss auf den Reichskreis. So war Kurköln eine Schutzmacht der nordwestdeutschen Hochstifte. Lange Zeit besetzte das Haus Wittelsbach wichtige Bischofssitze. Weiterhin übten Hessen, die Kurpfalz und die welfischen Herzogtümer im Norden Einfluss aus. Durch Besitzwechsel in einigen Territorien gewannen mit Braunschweig und Brandenburg seit dem Ende des 16. Jahrhunderts auswärtige Herrscher stark an Gewicht. Dagegen blieb der Reichskreis weitgehend kaiserfern.
Auch verschärften sich die konfessionellen Gegensätze. Es gab neben katholischen Gebieten auch reformierte und lutherische Territorien. Verschiedene Gebiete waren im Prozess der Konfessionalisierung umstritten. Insgesamt führten Konfessionsgegensätze und die unterschiedlichen Interessen, insbesondere die Eigeninteressen der größeren Territorien dazu, dass der Kreis nur noch schwer eine gemeinsame Linie fand.
Auswärtige Interessen schwächten die gemeinsame Münzpolitik. Durch das Bestehen stehender Heere der größeren Territorien wurden die nichtarmierten Kreisstände benachteiligt. Teilweise wird der Niederrheinisch-Westfälische Reichskreis zur Kreisassoziation der Vorderen Reichskreise gerechnet. Diese hatte sich gegen die Expansionspolitik Ludwigs XIV. gebildet. Ein 1697 abgehaltener Kreistag in Köln konnte daran nichts ändern. Nach 1702 stellte der Kreis daher für die Reichsarmee nur etwa 2000 Mann zur Verfügung. Im 18. Jahrhundert wurde der Kreis meist durch die drei Direktoren vertreten und spielte keine eigenständige Rolle mehr. Kreistage wurden etwa zwischen 1738 und 1757 nicht abgehalten. Im Jahr 1789 wurde der Reichskreis mit der Reichsexekution gegen die Lütticher Revolution beauftragt.
Nach der Abtretung aller linksrheinischen Gebiete an Frankreich erfolgte 1806 die Auflösung des Reichskreises.
Mitglieder |
Im Folgenden sind die Mitglieder des Reichskreises aufgelistet, ausgehend von der Reichsmatrikel des Jahres 1521 und einer Auflistung von 1532. Bis gegen Ende des Reiches abgegangene Reichsstände sind kursiv gedruckt, neu hinzugekommene gesondert aufgeführt.
Geistliche Fürsten |
Bistümer |
Hochstift Cambrai; 1678 französisch
Hochstift Lüttich
Hochstift Minden; 1648 weltliches Fürstentum
Hochstift Münster
Hochstift Osnabrück
Hochstift Paderborn
Hochstift Utrecht; 1528 an Spanien, 1548 zum Burgundischen Reichskreis, später niederländisch
Hochstift Verden; 1648 weltliches Fürstentum
Abteien |
Stift Stablo-Malmedy; vorher Prälatur
Stift Corvey; vorher Prälatur; 1792 Hochstift
Weltliche Fürsten |
Herzogtum Jülich-Berg mit Grafschaft Ravensberg, ab 1521 bis 1609 Personalunion als Vereinigte Herzogtümer Jülich-Kleve-Berg, 1614 vorläufige und 1666 endgültige Erbteilung zwischen Markgrafschaft Brandenburg und Pfalz-Neuburg.
Herzogtum Kleve mit der Grafschaft Mark, ab 1521 bis 1609 Personalunion als Vereinigte Herzogtümer, 1614 vorläufige und 1666 endgültige Erbteilung zwischen Markgrafschaft Brandenburg und Pfalz-Neuburg.
Herzogtum Geldern; 1538 an Haus Mark in Personalunion als Vereinigten Herzogtümer, ab 1543 durch militärische Intervention des Kaisers an Habsburg, 1548 zum Burgundischen Reichskreis
bis 1792 neu:
Fürstentum Minden; ab 1648, zuvor geistliches Fürstentum
Fürstentum Verden; ab 1648, zuvor geistliches Fürstentum
Fürstentum Nassau-Dillenburg; 1664 gefürstet, vorher Reichsgrafschaft
Fürstentum Ostfriesland; 1667 gefürstet, vorher Reichsgrafschaft
Fürstentum Moers; 1706 Fürstentum, vorher Grafschaft; ohne Reichsstandschaft
Reichsprälaten |
Abtei Corvey; spätestens 1582 Fürstabtei, 1792 Hochstift
Reichsabtei Kornelimünster
Abtei Stablo-Malmedy
Abtei Werden
Frauenstift Essen
Frauenstift Herford
Frauenstift Thorn
Kloster Echternach
Grafen und Herren |
Grafschaft Bentheim
Grafschaft Manderscheid; 1546 von Habsburg mediatisiert
Grafschaft Bronkhorst; 1719 erloschen
Grafschaft Diepholz
Grafschaft Hoya
Grafschaft Lippe
Grafschaft Moers; 1541 von Kleve mediatisiert, 1706 Fürstentum; ohne Reichsstandschaft
Grafschaft Nassau-Dillenburg; 1664 Fürstentum
Grafschaft Oldenburg, 1777 Herzogtum
Grafschaft Ostfriesland; 1667 Fürstentum
Grafschaft Pyrmont
Herrschaft Reichenstein
Grafschaft Rietberg
Grafschaft Salm-Reifferscheid
Grafschaft Sayn
Grafschaft Schaumburg
Grafschaft Spiegelberg
Grafschaft Steinfurt
Grafschaft Tecklenburg
Grafschaft Virneburg
Grafschaft Wied
Herrschaft Winneburg und Beilstein
Herrschaft Reckheim, Besitz der Herren von Sombreffe, nach 1623 Grafschaft Reckheim
bis 1792 neu:
Herrschaft Anholt (vertreten durch Fürsten von Salm-Salm)
Grafschaft Blankenheim und Gerolstein
Herrschaft Gemen
Herrschaft Gimborn
Grafschaft Gronsveld
Grafschaft Hallermund
Grafschaft Holzappel
Grafschaft Kerpen und Lommersum (1786 reichsunmittelbar)
Herrschaft Myllendonk
Grafschaft Reckheim (1620 reichsunmittelbar)
Grafschaft Schleiden (Ende 16. Jahrhundert reichsunmittelbar)
Herrschaft Wickrath
Herrschaft Wittem
kreisangehörige Grafschaften ohne Reichsstandschaft:
Grafschaft Lingen
Grafschaft Ravensberg ab 1346 Personalunion mit Herzogtum Berg, 1437 mit Jülich-Berg und ab 1521–1609 Teil der Vereinigten Herzogtümer, 1614 vorläufig und 1666 dauerhaft an Markgrafschaft Brandenburg.
seit 1614: Grafschaft Hoorn
Städte |
Reichsstädte:
Aachen
Cambrai
Dortmund
Köln
Reichsunmittelbarkeit umstritten:
Duisburg (vertreten durch Kleve-Mark)
Herford (vertreten durch Jülich-Berg)
Verden (vertreten durch Jülich-Berg)
Keine Reichsstände:
Brakel (vertreten durch Paderborn)
Düren (vertreten durch Jülich-Berg)
Lemgo (vertreten durch Grafschaft Lippe)
Soest (vertreten durch Kleve-Mark)
Warburg (vertreten durch Paderborn)
Wesel (vertreten durch Kleve-Mark)
Enklaven |
Nicht zum Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis gehörende Territorien, die ganz oder zum Teil von Kreisgebiet umschlossen waren:
Kurköln mit dem Herzogtum Westfalen und dem Vest Recklinghausen; Kurrheinischer Reichskreis
Herzogtum Limburg; Burgundischer Reichskreis
Reichsabtei Burtscheid; kreisfrei
Reichsherrschaft Dyck; kreisfrei
Herrschaft Hörstgen; Reichsunmittelbarkeit umstritten, kreisfrei
Herrschaft Rheda; kein Reichsstand, kreisfrei
Reichsherrschaft Saffenburg, kreisfrei
Siehe auch |
- Liste der Regimenter des niederrheinisch-westfälischen Reichskreises
Literatur |
- Winfried Dotzauer: Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-07146-6 (online bei google books). S. 297ff.
- Andreas Schneider: Der Niederrheinisch-Westfälische Kreis im 16. Jahrhundert. Geschichte, Struktur und Funktion eines Verfassungsorganes des alten Reiches. Schwann, Düsseldorf 1985, ISBN 3-590-18128-1 (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens, Band 16).
Neue Europäische Staats- und Reisegeographie worinnen die Lande des Westphälischen Kreises ausführlich vorgestellet werden ... (= 8. Band des Gesamtwerkes), Dresden / Leipzig (ohne Jahr, 1757)
Gerhard Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte. Personen, Ereignisse, Institutionen. Von der Zeitwende bis zum Ausgang des 2. Weltkrieges. 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1983, ISBN 3-520-81302-5, S. 879f.
Weblinks |
Commons: Lower Rhenish-Westphalian Circle – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Topographia Westphaliae – Quellen und Volltexte
Wikisource: Druck aus dem Jahr 1532 und Digitalisierung eines Verzeichnisses der Reichskreise und der zugehörigen Territorien mit Angabe der für die Türkenhilfe zu entsendenden Truppen – Quellen und Volltexte
Publikationen zum Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Suche nach Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis in der Deutschen Digitalen Bibliothek
Suche nach Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis im Portal SPK digital der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
- Übersicht über die Reichsstände
Niederrheinisch-Westfälischer Reichskreis im Portal Rheinische Geschichte des Landschaftsverbandes Rheinland
- Illustration von Nicolaes Visscher I ca. 1678: 'S[acri] R[omani] I[mperii] Westphaliae Circulus : In Omnes Eiusdem Subiacentes Provincias exactißimè distinctus' (Digitalisat)
- Karte von 1627 Abriss der Landschafft Veltlin, vom frantzösischen General Marquis Di Covure den Spanischen wieder abgenommen worden (Digitalisat)
- Karte von 1627 Abriß der Landschafft Westpalen, Frieslandt Und Angrenden Landeren (Digitalisat)
Einzelnachweise |
↑ Winfried Dotzauer: Die deutschen Reichskreise (1383–1806). Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1998, ISBN 3-515-07146-6, Kapitel Niederrheinisch-Westfälischer Kreis, S. 297–333 (online bei google books).
↑ Klaus Müller: Unter pfalz-neuburgischer und pfalz-bayerischer Herrschaft. In: Hugo Weidenhaupt: Düsseldorf. Geschichte von den Ursprüngen bis ins 20. Jahrhundert. Schwann im Patmos Verlag, Düsseldorf 1988, ISBN 3-491-34222-8, Band 2, S. 29
↑ Sigrid Jahns: Das Reichskammergericht und seine Richter. Verfassung und Sozialstruktur eines höchsten Gerichts im alten Reich Teil I: Darstellung. Köln, 2011 S. 253
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