Jacques Delors
Jacques Lucien Jean Delors (* 20. Juli 1925 in Paris) ist ein französischer Politiker der Sozialistischen Partei Frankreichs (PS). Er war von 1981 bis 1984 Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister und 1983 und 1984 Bürgermeister von Clichy. Als einer der profiliertesten und einflussreichsten Europapolitiker war er von 1985 bis 1995 Präsident der Europäischen Kommission und war entscheidend beteiligt an einer Vertiefung der europäischen Integration.
Inhaltsverzeichnis
1 Politischer Werdegang
2 Verdienste um den EU-Binnenmarktprozess
2.1 Das Weißbuch zum Binnenmarkt von 1985
2.2 Einheitliche Europäische Akte, Rechtsangleichung, Delors-Bericht und Vertrag von Maastricht
3 Mitgliedschaften (Auswahl)
4 Ehrungen und Auszeichnungen
5 Privates
6 Einzelnachweise
7 Literatur
8 Weblinks
Politischer Werdegang |
Nachdem er für zwei Jahre von 1979 bis 1981 Abgeordneter des Europäischen Parlaments gewesen war, übernahm er von 1981 bis 1984 das Amt des französischen Wirtschafts- und Finanzministers im Kabinett Mauroy, unter Staatspräsident François Mitterrand, der 1981 gewählt worden war. In dieser Zeit war er für ein kurzlebiges Experiment sozialistischer Wirtschaftspolitik in einer marktwirtschaftlichen Ordnung verantwortlich. Von 1985 bis 1995 war Delors Präsident der EG-Kommission und stand drei Kommissionen vor (Delors I, II und III). Er sprach sich 1989 – anders als viele skeptische Spitzenpolitiker in Frankreich – für die deutsche Wiedervereinigung aus.[1]
Delors verzichtete auf eine Präsidentschaftskandidatur 1995 zur Nachfolge François Mitterrands; er hatte als aussichtsreichster Kandidat des Parti Socialiste gegolten.[2] Verbunden damit war sein Rückzug aus der französischen Tagespolitik.
Delors gilt nach Jean Monnet (1888–1979) als der zu seiner aktiven Zeit wohl einflussreichste Europapolitiker.
Verdienste um den EU-Binnenmarktprozess |
Unter seiner Führung machte die europäische Integration große Fortschritte. Seine Präsidentschaft beendete über ein Jahrzehnt des Euroskeptizismus und der Stagnation des Integrationsprozesses („Eurosklerose“). Delors hat die Gemeinschaft „aus einer tiefen Krise herausgeführt“ sowie „mit dem Binnenmarkt und der Währungsunion auf ein neues Gleis gesetzt“.[3] In seine Präsidentschaft fallen die Reformen Einheitliche Europäische Akte (EEA) 1986, Vertrag von Maastricht 1992 und Reform und Reorientierung von Kommission und Gemeinschaftspolitik (Delors-Paket) 1988.
Das Weißbuch zum Binnenmarkt von 1985 |
Auf Initiative Delors’ veröffentlichte die Kommission ein Weißbuch (sog. Binnenmarkt-Fibel), in dem 300 (später reduziert auf 282) für die Verwirklichung des Binnenmarktes notwendige legislative Maßnahmen aufgeführt wurden. Dieses Programm geht auf das sogenannte Delors-Paket zurück, das der damalige Kommissionspräsident acht Tage nach seiner Amtsübernahme im Januar 1985 in Straßburg vor dem EP im Rahmen seiner Antrittsrede vorstellte. Delors stellte zu Beginn in einem Satz die Frage: „Ist es vermessen, den Beschluss anzukündigen und dann auch durchzuführen, bis 1992 alle innergemeinschaftlichen Grenzen aufzuheben?“ Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen zählten:
- Wegfall der Personen- und Warenkontrollen an den EG-Binnengrenzen (z. B. Verlagerung der Kontrollen in die Produktion, die Vereinheitlichung des Veterinärrechts)
- Gegenseitige Anerkennung zahlreicher Produktnormen und Lebensmittelstandards bzw. deren Harmonisierung
- Beseitigung von steuerlichen Schranken, die durch unterschiedliche Mehrwert- und Verbrauchssteuern bestanden
- EG-weite Öffnung der öffentlichen Beschaffungsmärkte (für staatliche Aufträge ab 10 Mio. DM)
- Weitreichende Marktöffnungen und -liberalisierungen (z. B. Versicherungs- und Transportgewerbe)
- Beseitigung von Staatsmonopolen (z. B. Post).
Das Weißbuch enthielt einen Zeitplan und nannte als Enddatum für die Vollendung des Binnenmarktes den 31. Dezember 1992. Dieses Programm wurde mit dem „magischen Datum“ 1992 auf dem Mailänder Gipfel (Mitte 1985[4]) vom Rat der damals noch aus zehn Mitgliedsstaaten bestehenden Gemeinschaft gebilligt.
Einheitliche Europäische Akte, Rechtsangleichung, Delors-Bericht und Vertrag von Maastricht |
Mit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 wurden die Römischen Verträge erstmals nachhaltig reformiert und die Grundlagen für die Vollendung des Binnenmarktes gelegt.[5] Die von Delors angeführte Kommission führte parallel zur EEA-Vertragsreform das Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes mittels eines großen europäischen Rechtssetzungsprozesses mit anschließend mitgliedstaatlicher Umsetzung aus. Bis Ende 1992 war der größte Teil dieser Kommissions-Vorschläge verabschiedet. Die Umsetzung der 282 Vorschläge mittels Richtlinien wurde durch die am 1. Juli 1987 in Kraft getretene EEA-Vertragsreform, mit der die qualifizierte Mehrheit[6] für diesen Politikbereich eingeführt wurde, nachhaltig unterstützt. Diese Binnenmarktanstrengungen entfachten eine neue Dynamik innerhalb der EG, was bis heute das Bild der Tat- und Entschlusskraft Delors als einer der herausragenden Kommissionspräsidenten zeichnet. Unter Delors gewann die Kommission „neue Autorität“.[7]
Im Juni 1989 legte Delors einen Drei-Stufen-Plan – ohne Zeitvorgaben – zur Errichtung der Wirtschafts- und Währungsunion vor.[8] Dem war der Auftrag („konkrete Etappen zur Verwirklichung dieser Union zu prüfen und vorzuschlagen“) einer Sachverständigengruppe unter Vorsitz Delors’ als Kommissionspräsident durch den Europäischen Rat im Juni 1988 vorausgegangen. Die Initiative geht auf Delors zurück. Auf der Grundlage des Delors-Berichts beschloss der Europäische Rat in Madrid 1989 das Inkrafttreten der ersten Stufe der Währungsunion zum 1. Juli 1990. Der Bericht wurde später zur Grundlage der Ausgestaltung der WWU im Vertrag von Maastricht[9], der auch konkrete zeitliche Festlegungen für die einzelnen Stufen traf.
1992 folgte nach dem Zusammenbruch des Ostblocks in einer veränderten Lage Europas der nächste große europäische Vertrag unter Delors’ Kommissionspräsidentschaft, der Vertrag von Maastricht.
Mitgliedschaften (Auswahl) |
Jacques Delors ist Mitglied im Club of Rome und im Kuratorium der Initiative A Soul for Europe. Zudem ist er Mitglied der Spinelli-Gruppe, die sich für den europäischen Föderalismus einsetzt, und leitet den Think Tank Notre Europe, welcher zusammen mit der Hertie School of Governance das Jacques-Delors-Institut in Berlin finanziert, einen Europa-Thinktank.
Ehrungen und Auszeichnungen |
1990 wurde Delors mit dem Hans-Böckler-Preis ausgezeichnet.[10] Am 1. Februar 1991 verlieh ihm der bayerische Ministerpräsident Max Streibl den Bayerischen Verdienstorden. 1992 erhielt er den Karlspreis der Stadt Aachen. 1993 wurde ihm das Großkreuz des Verdienstordens der Republik Polen verliehen. Außerdem erhielt er die Ehrendoktorwürde der Fakultät für Sozialwissenschaft der Ruhr-Universität Bochum sowie der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald (12. Mai 1994). 1995 wurde er mit dem Europapreis Karl V. der Europäischen Akademie von Yuste in Spanien ausgezeichnet, 1996 mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen am Bande für Verdienste um die Republik Österreich.[11] 2010 wurde Delors als erster mit dem Leonardo European Corporate Learning Award ausgezeichnet.[12] 2015 wurde er zum Ehrenbürger Europas ernannt.[13]
Privates |
Delors ist der Vater von Martine Aubry und Jean-Paul Delors.
Einzelnachweise |
↑ europarltv.europa.eu.
↑ Jacqueline Hénard: Jospins entschlossenes Zögern. In: Die Zeit, 31. Mai 2001.
↑ Hans-Jürgen Wagener, Thomas Eger, Heiko Fritz: Europäische Integration, Recht und Ökonomie, Geschichte und Politik. München 2006, S. 192.
↑ Die Stunde der Wahrheit steht noch bevor. In: Die Zeit. Nr. 28, 5. Juli 1985.
↑ Art. 14 Abs. 1 EG (Nizza/Amsterdam) [ex Art. 7a EG, Maastricht]: „Die Gemeinschaft trifft die erforderlichen Massnahmen, um bis zum 31. Dezember 1992 gemäß dem vorliegenden Artikel … den Binnenmarkt schrittweise zu verwirklichen.“
↑ Art. 95 EG (Amsterdam/Nizza), ex Art. 189 EG (Maastricht), seit VvL (1. Dezember 2009) Art. 114 AEUV.
↑ Hans-Jürgen Wagener, Thomas Eger, Heiko Fritz: Europäische Integration, Recht und Ökonomie, Geschichte und Politik. Vahlen, München 2006, S. 84, 192f.
↑ Hans-Jürgen Wagener, Thomas Eger, Heiko Fritz: Europäische Integration: Recht und Ökonomie, Geschichte und Politik. Vahlen, München 2006, S. 84.
↑ Art. 105–124 EG a.F., jetzt (seit 1. Dezember 2009 durch VvL) Art. 127–133 AEUV.
↑ Preisträger/Innen des Hans-Böckler-Preises. (Memento des Originals vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.boeckler.de In: Boeckler.de, 13. Februar 2014.
↑ Aufstellung aller durch den Bundespräsidenten verliehenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich ab 1952 (PDF; 6,9 MB).
↑ Leonardo Award.
↑ Jacques Delors wird «Ehrenbürger Europas», NZZ vom 26. Juni 2015.
Literatur |
- Jacques Delors: Erinnerungen eines Europäers. Parthas, 2004, ISBN 3-936324-20-4.
- Ronald Grätz, Hans-Joachim Neubauer (Hrsg.): Mein Leben für Europa. Steidl/ifa, Göttingen 2013, ISBN 978-3-86930-476-2.
Weblinks |
Commons: Jacques Delors – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Literatur von und über Jacques Delors im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Werke von und über Jacques Delors in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- A Soul for Europe
Jacques Delors im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Eintrag zu Jacques Delors in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments
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Personendaten | |
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NAME | Delors, Jacques |
ALTERNATIVNAMEN | Delors, Jacques Lucien Jean (vollständiger Name) |
KURZBESCHREIBUNG | französischer Politiker der Sozialistischen Partei, MdEP |
GEBURTSDATUM | 20. Juli 1925 |
GEBURTSORT | Paris |